Logopädische Erscheinungsbilder und Diagnosen bei Erwachsenen
Sprachstörungen bei Erwachsenen:
Sie treten, ebenso wie die Schluckstörungen (Dysphagien), meist nach einem Schlaganfall auf. Allerdings können sie als Folge jeder Art von Schädigung des Gehirns auftreten, auch als Begleiterscheinung einer Demenz.
Aphasie
Hierbei ist die „innere“ Sprache gestört. Wortabrufstörung (Wortfindungsstörung): Das häufigste Symptom ist die Schwierigkeit, sich an Wörter zu erinnern. Jeder kennt es, wenn einem „das Wort auf der Zunge liegt“, aber partout nicht einfallen will. Bei der Aphasie passiert das nicht hin und wieder, sondern ständig.
Phonematische Paraphasien:
Die Laute (Buchstaben) eines Wortes geraten durcheinander, werden manchmal durch andere ersetzt oder auch ausgelassen. Manchmal sind die Veränderungen so stark, dass man das eigentliche Wort nicht mehr erkennen kann. (z.B. fo spirch = so spitz).
Semantische Paraphasien:
Statt des eigentlich passenden Wortes wird ein anderes gebraucht. Das kann sehr ähnlich sein (Kasse statt Tasse), im gleichen Themenbereich (Apfel statt Birne) oder etwas ganz anderes (Buch statt Milch). Die letzte Form tritt nicht so häufig auf.
Agrammatismus/Paragrammatismus:
Der Satzbau ist gestört. Dabei gibt es grundsätzlich zwei Varianten: der sog. Telegrammstil: die Sätze sind bruchstückhaft und enthalten viele Inhaltswörter, aber wenig oder gar keine Funktionswörter (z.B. Ich Kaffee getrunken, mit Auto nach Hause, Tochter.)> Satzteile werden unpassend aneinander gefügt, meist spricht der Betroffene sehr viel, oft kann er damit aber nicht viel ausdrücken (dies wird oft mit der Sprache der Politiker verglichen, wo mit vielen Worten meist wenig gesagt wird). Z. B.: „Und dann habe ich, musste dann wieder nach Hause, meine Tochter gibt mir immer, aber das weiß ich sowieso nicht, im Krankenhaus gelandet, der Arzt sagt ...“
Das Sprachverständnis ist gestört:
Das fällt oft nicht so auf, weil die Betroffenen immer noch wissen, wie ein Gespräch funktioniert. Sie sagen also „Ja“ und „Nein“ und Floskeln, die passen könnten, auch wenn sie sich nicht sicher sind, was tatsächlich gesagt wurde. Meist werden einfache Alltagsgespräche, auch mit Hilfe der Situation, in der man sich befindet, ganz gut bewältigt, komplexere Gespräche können dann aber nicht mehr verfolgt werden.
Recurring utterances:
gehören zu den sehr schweren Symptomen. Es bedeutet, dass statt Worten nur ein einziges Wort oder eine Silbenfolge immer wieder gesprochen wird, oft korrekt betont, so dass die Betonung der einzige Hinweis auf das ist, was der/die Betreffende sagen möchte.
Fachleute unterscheiden heutzutage nicht mehr unterschiedliche Formen der Aphasie. Es werden flüssige von nicht-flüssigen Aphasien unterschieden, ansonsten werden die Symptome beschrieben. Diese können in ganz unterschiedlicher Kombination auftreten. Auch der Schweregrad verläuft von geringsten Schwierigkeiten, die nur dem/der Betroffenen auffallen bis hin zu schwersten Erscheinungsformen, wo eine Kommunikation mit Sprache nicht mehr möglich ist.
Dysarthrie
Sie tritt ebenso wie die Aphasie meist nach einem Schlaganfall auf. Allerdings kann sie als Folge jeder Art von Schädigung des Gehirns auftreten. Hierbei ist die Aussprache gestört, die Bewegungen der Muskeln, die am Sprechen beteiligt sind, bereitet Schwierigkeiten. Bei den leichten Formen der Dysarthrie klingt das Sprechen verwaschen, manchmal auch so, als ob der Betroffene betrunken wäre. Bei schweren Formen werden die Laute noch ungenauer gebildet, Mund und Zunge führen die notwendige Bewegung nicht mehr vollständig aus. Manche Laute gelingen dabei besser, andere schlechter. Es kann sein, dass man den Betroffenen nur noch sehr schlecht, oder gar nicht mehr verstehen kann. Eine Dysarthrie tritt oft zusammen mit einer Schluckstörung (Dysphagie) auf. Je schwerer die Störung, desto wahrscheinlicher ist es, dass zusätzlich eine Schluckstörung besteht. Es kommt auch vor, dass eine Dysarthrie zusammen mit einer Aphasie auftritt.
Sprechapraxie
Diese Störung bezieht sich auf die Bewegungsplanung des Sprechens. Der Betroffene kann die Laute nicht mehr bewusst bilden, obwohl die Muskulatur das könnte. Leichte Störungen fallen gar nicht auf, da wir ja beim Sprechen nicht über die Bewegungen des Mundes nachdenken. Schwere Störungen gehen bis auf die unbewusste Ebene. Der Betroffene versucht, die richtige Bewegung auszuführen, merkt aber, dass es nicht klappt. Statt des richtigen Lautes kommt ein anderer Laut heraus, der manchmal dem Ziellaut gar nicht ähnlich ist. Es kommt auch vor, dass Buchstaben in einem Wort ganz ausgelassen werden. Manchmal ist eine verständliche Sprache nicht mehr möglich. Diese Störung lässt sich nur sehr schwer von einer Aphasie abgrenzen, zumal die Sprechapraxie fast immer zusammen mit einer Aphasie auftritt.
Eine Sprechapraxie ist sehr schwierig zu behandeln und oft sind die Erfolge nur klein. In manchen Fällen sind Ersatzstrategien möglich. Das hängt jedoch immer sehr vom Einzelfall ab.
Stottern
Es ist eine Unflüssigkeit beim Sprechen, die dadurch entsteht, dass der/die Betroffene Silben oder auch ganze Wörter mehrfach wiederholt, ohne dies verhindern zu können. Oder dass der/die Betreffende „hängen bleibt“ und das entsprechende Wort gar nicht erst herauskommt. Oft sind Mitbewegungen im Gesichtsbereich zu beobachten, seltener Mitbewegungen anderer Körperteile. Es gibt immer noch viele Menschen, die als Ursache für das Stottern psychische Probleme annehmen. Das hat die Forschung mittlerweile widerlegt. Man weiß heute, dass bestimmte Hirnstrukturen verändert sind. Durch Therapie kann das Hirn des Betroffenen lernen, andere, intakte Strukturen zu nutzen. Allerdings kommt es durch das Stottern meist zu Unsicherheiten und anderen psychischen Symptomen. Das Stottern ist also die Ursache der psychischen Beeinträchtigung, nicht umgekehrt. Es gibt zum Stottern noch reichlich Theorien über die genaue Entstehung und welche Faktoren das Stottern aufrechterhalten. An dieser Stelle finden ich es wichtiger, Sie darüber zu informieren, dass keine psychische Störung oder elterliches Fehlverhalten die Ursache des Stotterns ist.
Wie verhalte ich mich gegenüber einem Menschen, der stottert?
- Geben Sie ihm auf jeden Fall die Zeit, die er/sie zum Sprechen braucht.
- Sie müssen das Thema Stottern nicht krampfhaft vermeiden, es sollte jedoch nicht zum bestimmenden Faktor des Zusammenlebens werden.
- Ob der/die Betroffene angeschaut werden möchte, oder nicht, lässt sich nicht pauschal beantworten. Es gibt Menschen, die auf keinen Fall angeschaut werden möchten, andere wollen aber gerade das. Im Zweifelsfall sprechen Sie den/die Betroffene an und klären mit ihm, welches Verhalten er sich in Hinblick auf sein Stottern wünscht.
- Denken Sie immer daran: Sie sprechen mit einem Menschen, der unter anderem stottert, nicht mit einem Stotterer. Menschen, die stottern, sind ja auch soviel anderes: Sie sind Söhne, Töchter, Mütter, Väter, Bauarbeiter, Büroangestellte, Abteilungsleiter, Selbstständige, Mitglied bei der Feuerwehr usw. usw. Das Stottern ist nur eins von vielen.
Poltern
Das ist eine recht unbekannte Störungsform, da die meisten Betroffenen damit gut zurecht kommen. Klassisch ist ein erhöhtes Sprechtempo mit verringerter Verständlichkeit. Bei stärkeren Erscheinungsformen werden teilweise ganze Silben oder Wörter ausgelassen. Typisch ist, dass die Betroffenen bei Nachfrage oder wenn es drauf ankommt, deutlich und verständlich sprechen können, weshalb sie nur selten in einer logopädischen Praxis auftauchen. Manchmal werden uns Kinder vorgestellt, weil sie in der Schule nicht so gut verstanden werden, oder ein Berufswunsch, der sich mit dem undeutlichen Sprechen nicht vereinbaren lässt, führt dazu, dass Betroffene zu uns in die Praxis kommen.
Schluckstörungen bei Erwachsenen
Sie treten ebenso wie die Aphasie und Dysarthrie meist nach einem Schlaganfall auf. Allerdings kann sie als Folge jeder Art von Schädigung des Gehirns auftreten, oder auch nach (Krebs-)Operationen im Mund-Rachen-Bereich. Die Betroffenen haben Schwierigkeiten, die Mund- und Zungenmuskulatur so zu steuern, dass die Nahrung gekaut und bis zum Rachen transportiert wird, wo der Schluckakt reflektorisch wird. Auch dieser reflektorische Teil des Schluckens kann gestört sein. Symptome sind häufiges Verschlucken, Husten, rasselnde, gurgelnde Atmung bis hin zur Unmöglichkeit, Nahrung aufzunehmen. Oft ist es sinnvoll, eine Magensonde, eine sogenannte P.E.G., zu legen. Das wird man vor allem dann tun, wenn ansonsten die Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr nicht ausreichend ist. Betroffene brauchen extrem lange, bis sie eine kleine Mahlzeit gegessen haben oder meiden sogar das Schlucken und damit das Essen.
Gefürchtet ist eine Lungenentzündung bei unbemerktem Abgleiten von Nahrung in die Lunge. Dazu sagt die renommierte Schluckexpertin Frau Ricki Nusser-Müller-Busch, dass bei vielen Krebspatienten in der Lunge eine richtige Schicht Nahrung nachzuweisen sei. Das Problem der Lungenentzündung sei vielmehr auf mangelhafte Mundhygiene zurückzuführen. (Mündliche Aussage bei einer Fortbildung zur Manuellen Schlucktherapie 2013.)
Bei einer Schluckstörung durch Schlaganfall ist die gesamte Mund-Zungenmuskulatur betroffen, so dass die mit den üblichen, unbewussten Schluckbewegungen einhergehende Selbstreinigung des Mundes nicht mehr gewährleistet ist. Nicht nur auf den Zähnen bilden sich Beläge, sondern vor allem auf der Zunge. Diese Beläge sind hochinfektiös und müssen daher mehrmals täglich gründlich entfernt werden.
Stimmstörung (Dysphonie):
Die Stimme ist heiser, obwohl keine Erkältung vorliegt. Manchmal finden sich auf den Stimmlippen Knötchen oder Polypen (Verdickungen der Schleimhaut, die die Stimmlippen umkleidet). Ursache für eine Stimmstörung ist in der Regel, dass das muskuläre Zusammenspiel nicht ausreichend gut funktioniert. Meist arbeiten die Muskeln im Kehlkopfbereich mit zu viel Spannung. Psychische Ursachen können ebenfalls eine Stimmstörung verursachen oder verstärken. Ich habe in meiner Praxis seit Beginn keine einzige rein psychische Stimmstörung gesehen. Es gibt sie, sie sind jedoch extrem selten. Hin und wieder können auch bösartige Prozesse die Ursache für eine Stimmstörung sein. Ebenfalls selten geworden sind Lähmungen der Nerven, die für die Bewegung der Stimmlippen zuständig sind. Eine solche Lähmung kann auftreten, wenn dort, wo der Nerv verläuft, operiert werden muss. Heutzutage kann das bei Operationen an der Halswirbelsäule passieren, wenn von vorn, am Stimmnerv vorbei, operiert wird. Ist der Stimmnerv nur verletzt, sind die Ergebnisse der logopädischen Therapie sehr gut. Ist der Nerv durchtrennt, hängt es sehr vom Einzelfall ab, wie gut die Stimme wieder wird. Hier hilft die logopädische Behandlung, das Optimum der Stimmgebung zu erreichen und die eingeschränkte Belastbarkeit zu verbessern.
Im Rahmen einer „normalen“ Operation können die Stimmlippen selbst (nicht der Nerv) verletzt werden. Dies kommt jedoch sehr selten vor und ist in der Regel gut behandelbar.
Generell gilt: Eine Heiserkeit über mehr als 3 Wochen sollte dem HNO-Arzt vorgestellt werden.